Der Ruf nach den Grundrechten!
So belastend und im Einzelfall auch tragisch diese Pandemie auch ist, einige positive Aspekte hat sie dennoch hervorgebracht. Die Bedeutung der Grundrechte werden plötzlich vielen Menschen bewusst, weil sie ungewohnte Einschränkungen hinnehmen müssen.
Vor gut 30 Jahren hatte ich eine kleine Nebentätigkeit an einem Lehrstuhl für Staats- und Verfassungsrecht an der Uni München. Ich hatte damals die Meinung vertreten, dass die Existenz individueller Grundrechte einerseits und die Überprüfung durch unabhängige Gerichte, letztlich also die Gewaltenteilung andererseits die zentralen Errungenschaften unserer Verfassung sind, noch wichtiger als das Wahlrecht. Ich sehe das noch heute so.
Was ist eine Demokratie wert, wenn eine Mehrheit beliebig über Rechte der Minderheit oder einzelner Personen verfügen darf, ohne dass sich diese mit den Mitteln des Rechtsstaats wehren können? Die Frage von Recht und Unrecht hängt nicht an der Staatsform und auch nicht an der Art der Entscheidungsfindung. Im Extremfall: Wenn eine Mehrheit durch Volksentscheid die Tötung einer Minderheit beschließt, ist das himmelschreiendes Unrecht, und zwar nicht aus demokratischen Gesichtspunkten -formal hat ja das Volk entschieden-, sondern weil es gegen die Grundrechte verstößt. Deshalb: Ein Staat ohne Grundrechte ist ein Unrechtsstaat!
Grundrechte sind ein Teil der Menschenwürde. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass jedes Grundrecht einen Menschenwürdekern besitzt. Deshalb kann es auch durch Verfassungsänderung nicht gänzlich beseitigt werden.
Schön, dass sich die Menschen wieder auf den Wert der Grundrechte besinnen. Bedenklich, dass die bloße Einschränkung von Grundrechten von manchen diskreditiert wird. Natürlich muss man sich fragen, wie weit darf der Staat die einen Grundrechte einschränken, um die Grundrechte anderer zu schützen. Diese Frage beantwortet am Ende der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Eine Grundrechtseinschränkung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet ist, sie darf nicht über das erforderliche Maß hinausgehen und muss im Blick auf das verfolgte Ziel angemessen sein.
So erfreulich die Diskussion auch ist, so gefährlich ist die Verengung der Debatte auf einzelne Grundrechte. Vielen ist die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit sehr wichtig, anderen der Datenschutz. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das Verbot von Diskriminierungen teilweise auch die allgemeine Handlungsfreiheit, wenn es um die Einschränkung des täglichen Lebens in Corona Zeiten geht, all das wird thematisiert. Die Berufsfreiheit und insbesondere das Eigentum spielt in der öffentlichen Debatte eine immer geringere Rolle. Im Gegenteil: Das Eigentum soll zur Verfügungsmasse der Allgemeinheit werden, wenn es nach den Vorstellungen einiger Parteien geht.
Ich rede jetzt nicht von dem Unsinn, der gerade in Berlin passiert. Hier wird der Versuch unternommen, ein großes Wohnungsbauunternehmen zu enteignen. Das ist unter engen Voraussetzungen nach Art. 15 Grundgesetz sogar möglich, allerdings nur gegen Entschädigung. Da muss der Staat, das Geld, was er sinnvoller Weise in den sozialen Wohnungsbau stecken soll an die Wohnungsbaugesellschaft zahlen. Die Konsequenz: Dem Staat fehlt das Geld, neuen Wohnraum zu schaffen, und die Privaten werden durch solche Aktionen ganz sicher nicht ermutigt, in Berlin zu investieren. Ich spreche von Kevin Kühnert, der gefordert hat, dass jeder nur die Immobilie besitzen darf, in der er wohnt. Er möchte auch BMW enteignen, pardon, vergesellschaften und erntet damit von der Wochenzeitschrift „Die Zeit“ Lob: „Endlich wieder Utopien“, titelt das Blatt.
Die Grünen haben sich in Person von Herrn Hofreiter dazu verstiegen, dem Einzelhaus mit Garten den Kampf anzusagen. Gerade in Corona Zeiten dürfte vielen Menschen bewusst geworden sein, wie wertvoll diese Wohnform ist. Es passt nur nicht in die Grüne Verbotslogik, die den Menschen genau sagen möchte, wie sie zu leben haben.
Ich habe einen Kollegen von den Grünen mit dem Vorwurf der „Verbotspartei“ konfrontiert und ihn daran erinnert, dass ein Teil ihrer Bewegung, nämlich „Bündnis 90“ aus dem Widerstand gegen die Kommunistische Diktatur in der DDR entstanden ist. Ich bekam zur Antwort, na ja, unsere Vorschläge sind aber doch vernünftig. Mit Freiwilligkeit, die Ihr immer fordert, kommen wir nicht weit.
In diesem Punkt muss ich ihm allerdings Recht geben. Wer auf Freiheit und Vernunft setzt, erwischt tatsächlich nicht alle. Aber vielleicht sollten wir uns tatsächlich einmal darauf besinnen, auf allzu viel Bevormundung zu verzichten. Die Grundrechte zu achten, das heißt auch, Lebensweisen zu tolerieren, die einem nicht unbedingt gefallen: Im Sommer einen Grillabend zu veranstalten ist ebenso wenig unanständig wie mit Erdnüssen, Chips und Weißbier vor dem Fernseher zu sitzen, in den Urlaub zu fliegen oder ein Auto mit Dieselantrieb zu fahren. Er ist kein besserer oder schlechterer Mensch als ein Veganer, der auf einen privaten PKW verzichtet, Bionade trinkt und für den Bund Naturschutz spendet. Jeder hat das Recht, so zu leben, wie er das möchte. Als Manager oder als Landschaftsmaler, als Single oder Familienvater, in der Stadt oder auf dem Dorf, im Haus oder in der Dachgeschoßwohnung. Wenn wir das akzeptieren, dann leben wir die Grundrechte. Meint Ihr nicht auch?